Non vitae ...

… sed scholae discimus – nein, wir verkneifen uns diese abgelutschte Kritik des Herrn Seneca (formuliert ca. 62 n. Chr.) nicht. Sie hat bis heute nichts von ihrer Gültigkeit verloren. Und auch die umgekehrte Version (Non scholae, sed vitae ...), wonach das, was man in der Schule lernt, wichtig fürs Leben sei, wird zunehmend in Frage gestellt ...

Gegen Ende des leidigen 2020 hat es die Meinungsforschung (Market-Institut auf Auftrag des Standard)
vermessen: Die Mehrheit der Österreicherinnen und Österreicher bezweifelt, dass in der Schule das Richtige gelehrt wird. Bei der so genannten »Bildungsumfrage« wird zwar das Engagement der Lehrer gelobt, allerdings starke Kritik am System der Schule und daran, wie es Bildung vermittelt, geäußert: 75 Prozent (!) bekunden ihre Zustimmung zu der Aussage »viele Talente und Fähigkeiten der Kinder werden übersehen und bleiben ungenutzt«, zwei Drittel sagen, dass »heute in der Schule wesentliche Bildungsziele vernachlässigt werden«. Ganz allgemein bekommt das System Schule somit noch schlechtere Noten als bei der Vergleichsumfrage vor zehn Jahren. Gerade im Ausnahmejahr 2020 (und wer weiß wie lange noch?) mit »Home-Schooling«, »Distance Learning« usw., ist ja das Thema Bildung wieder verstärkt in der Fokus der Aufmerksamkeit gerückt. Die so genannten Expertenmeinungen reichen dabei von der »verlorenen Generation« bis hin zu »hat keine Auswirkungen«. Spätestens seit dem Umbau des Universitätsbetriebs zum Bachelor- und Masterssystem ist es, so die Kritik, ganz klar: Unsere Bildungsanstalten produzieren nur mehr willfährige Arbeitssklaven für die nachfragende Marktwirtschaft. Für eine Marktwirtschaft, deren Zukunftstauglichkeit (Stichwort: Umweltverschmutzung, Klimakrise, Gesellschaftskrise aufgrund wachsender Ungleichheiten) aber vermehrt in Frage zu stellen ist. Vor vier Jahren schon hat der Neurobiologe Gerald Hüther in einem Standard-Interview gemeint: »Wir müssen uns darüber verständigen, was die Aufgabe von Schule eigentlich ist. In jedem Zeitalter, wo immer es Schulen gab, haben sie nicht zur Entfaltung von Potenzialen der Kinder gedient, sondern dem Zweck, die nachwachsende Generation so vorzubereiten, dass sie dann so funktioniert, wie das notwendig war, damit das gesellschaftliche System funktioniert.« Dieses gesellschaftliche System – und da wird es selbstverständlich ideologisch-politisch – steht allerdings auch und gerade aufgrund der aktuellen Pandemie auf dem Prüfstand. Für die Probleme, mit denen wir heute schon zu kämpfen haben und erst recht morgen, brauchen wir eine Generation, die nicht einfach die Gegenwart fortschreibt, sondern jene hellen Köpfe, die in der Lage sind, den neuen Kurs zu erkunden und zu gehen. Bei Schule denken wir spontan an Bildung, Allgemeinbildung, Ausbildung. Jedenfalls ist in diesen Begriffen das Wort »Bild« enthalten. Dazu findet sich im entsprechenden Artikel von Wikipedia jede Menge Erhellendes. Vor allem aber die Überlegung, dass es bei Bildung am Ende tatsächlich darum geht, sich ein richtiges, wahres Bild zu machen; von sich, von der Gesellschaft, der Politik, der Welt. Und wie das alles zusammengeht. Nur: Was ist schon richtig? Was ist schon wahr? Nicht zuletzt hat auch Gert Scobel in seinem Jahresrückblick auf 3sat einen Schwerpunkt auf das Thema Bildung und »neue Aufklärung« gelegt. In einem Einspieler sagt der Philosoph Michael Hampe, Aufgabe der Wissenschaft sei es, mit Nachdruck auch darauf hinzuweisen, dass es eben keine letzten Wahrheiten und absoluten Gewissheiten gebe; weder für Wissenschaft, für Politik noch für unser Leben. Der Mythos, wonach sich am Ende die Vernunft durchsetzt, habe uns eine Gegenwart voll von Selbsttäuschungen beschert. Hampe hält daher eine Bildungsoffensive für unerlässlich und beruft sich dabei auf den Amerikanischen Philosophen John Dewey (1859 – 1952), wonach sich die Aufklärung ständig erneuern müsse und mit Blick auf die gesellschaftlichen Probleme, gemeinsame Werte entwickelt; Schwerpunkt: Demokratische Bildung. Hampe: »Nun sieht es so aus, als sei die gegenwärtige Gesellschaft weder ökologisch noch politisch fortsetzbar. Also ist das Falscheste, was man tun kann, junge Leute auf die gegenwärtige Gesellschaft vorzubereiten. Wir müssen Leute hervorbringen, die kreativ und selbstbewußt genug sind, um die Gesellschaft umzubauen.« Gefragt sei somit also »ein Bildungssystem, das sich am Ziel eines grundlegenden Wandels orientiert; ausgerichtet an einer Philosophie, die mit Illusionen und Schicksalsgläubigkeit ein für allemal Schluß macht.« Scobel folgert: Anstatt eines auf Konkurrenz und Wettbewerb ausgerichteten Bildungssystems brauchen wir eines, das auf Kooperationen setzt. Und sein Gast und Gesprächspartner, der Philosoph Wolfram Eilenberger fügt hinzu: „dass dieser Wettbewerbscharakter zudem dazu führt, dass die Menschen blind und stumpf für ihre eigene Stimme werden. Sie eignen sich Dinge an, ohne die eigenen Interessen kennen zu lernen und ihnen zu folgen. Ich glaube, dass eine gelungene Bildung eine ist, die auch eine Selbstbildung ist.« //(clash)