Mindset

Sicher mehr als ein Buzzword, äh Schlagwort, ist der Begriff »Mindset« - was soviel wie die Art zu denken bedeutet. Denn, so die aktuelle Ratgeberliteratur, wir müssen unser »Mindset« dringend in Frage stellen, am besten über den Haufen werfen und schauen, wie wir zu einem neuen kommen. Aus ist‘s mit der »Milch der frommen Denkungsart« …

Wilhelm Tell wartet vor der hohlen Gasse bei Küssnacht auf den Reichsvogt Geßler; er monologisiert: „Meine Gedanken waren rein von Mord. Du hast aus meinem Frieden mich heraus geschreckt, in gärend Drachengift hast du die Milch der frommen Denkart mir verwandelt.“

Während es also in Friedrich Schillers (1759-1805) Schauspiel noch »Denkart« heißt, verwendet Karl Marx (1818-1883) eine Generation später in seinem Pamphlet über »die selbsternannten Heiligen« schon die heute gebräuchliche Form: »Man erkennt … (sie) … auch an ihrem typischen Gesichtsausdruck, … an dem mahnenden Ernst ihrer Mienen. … an ihrer frömmelnden Sprache; warum … müssen sie immer diesen salbungsvollen Ton anschlagen … warum müssen sie über die alltäglichsten Gedankengänge die Milch der frommen Denkungsart gießen.«

Ob mehr oder weniger fromm – unsere Art zu denken braucht ein update! In einem Standard-Interview, Ende Jänner, über die sich stark verändernde Arbeitswelt erklärt der Autor und Management-Berater Jörg Hawlitzeck, was er darunter versteht.

»Will ich einen tief Schlafenden wach bekommen, muss ich ihn wohl oder übel rütteln.« Und so rüttelt er als Einstieg gleich einmal kräftig mit der Behauptung: in Hinkunft werde es wichtiger, »mit Unsicherheiten umgehen zu können, als mit Fachwissen zu reüssieren«!

Einmal mehr malt auch Hawlitzeck die bekannten Zeichen an die Wand: »Digitalisierung und künstliche Intelligenz«, »Disruption und Transformation«, Unternehmensführung und -organisation, die Art des Zusammenarbeitens und der Aufgabenerledigung – nichts bleibt wie es ist; »herkömmlichen Geschäftsmodellen geht die Luft aus«, »der Boden unter den Füßen der Berufstätigen wankt« usw. …

Wir sollten uns daher heute fragen, so der Berater, was bedeutet das für unsere geistige Verfassung? Wie gehen wir im Kopf mit diesen Veränderungen um? Haben wir sie überhaupt schon zu Kenntnis genommen, realisiert? Und wenn ja – welches »Mindset« brauchen wir morgen?

Die Antworten darauf könnten bei oberflächlicher Betrachtung auch aus der Schrebergarten-Post stammen: Einen klaren Kopf bewahren! Und »wer
es jetzt versäumt, auf ein stützendes Mindset hinzuarbeiten, wird das bereuen. Denn, sich in dieser beruflichen Umwelt auch noch … mentale Instabilität zu leisten, kann … ins Auge gehen«. Aha?!

Hawlitzeck führt weiter aus: Man dürfe sich von der anstehenden Revolution »nicht aus der Fassung bringen und den Schneid abkaufen lassen«. Gefragt sei daher »mentale Kompetenz«. Was ist das? Die grundlegenden Bausteine, so der Berater, sind: »eine robuste und wache Geistesverfassung; eine, die aufmerksam das Geschehen verfolgt, sich vor illusionärer Schönfärberei hütet und nüchtern erfasst, was persönlich bedeutsam werden könnte und worauf man sich sinnvollerweise einstellen sollte«. (Ja, jeder, der schon einmal eine Partie Schach gespielt hat, weiß das!)

Ein »stabiles Mindset«, so Hawlitzeck, sei die Fähigkeit, seine Gedanken so zu steuern, dass weder »innere noch äußere Ablenkungen die eigene Zielverfolgung sabotieren«; die Fähigkeit, »sich auf das hier und jetzt Notwendige zu fokussieren«. Und »dass man nicht sofort weiche Knie bekommt, wenn ungewohnte, unerwartete oder zunächst angstauslösende Anforderungen anklopfen«. (Könnte man auch als Tipp für Eisstockschießen verwenden!)
Am Ende gehe es doch darum, »morgen noch im Spiel zu sein«. Und »die Grundlage für die Spielstärke auf dem turbulenten Spielfeld … ist die Bereitschaft, sich im eigenen Interesse selbst in die Pflicht zu nehmen. Der Basisantrieb, um unter den aktuellen beruflichen Rahmenbedingungen nicht ins Schlingern zu geraten, liegt in der Einsicht in das Notwendige.« Und das sei eben, neben Wissen und Können, ein stabiles »Mindset« als zweiter Pfeiler in der beruflichen Selbstbehauptung.
Das ist ja jetzt einmal ein wirklich zündendes Kochrezept. Das hätten wir jetzt nicht gedacht, dass es so einfach ist: Einen klaren Kopf bewahren, sich nicht die Schneid abkaufen lassen, die Einsicht in das Notwendige.
Und bevor das jetzt noch jemandem sauer aufstößt: Die Milch der frommen Denkart, so unsere Recherchen, ist »die Geradlinigkeit der Gedanken, das arglose, nicht auf den eigenen Vorteil bedachte Verhalten«. Es ist die »aus frommer Erziehung resultierende, eher schlichte Denkweise«. Damit gewinnen wir nicht einmal beim Schnapsen. //(clash)