Der Schwarze Schwan

Angeblich geht das Bild des »schwarzen Schwans« auf den römischen Satiriker Juvenal (ca. 1. Jhdt. n. Chr.) zurück: Das Vorkommen einer treuen Ehefrau, so der Dichter, sei ebenso wahrscheinlich wie das im damaligen Europa gänzlich unbekannten schwarzen Schwans …

Seit dieser Zeit steht der arme Vogel – man hat ihn einige Jahrhunderte nach des Dichters politisch wohl unkorrektem Vergleichs in Australien entdeckt – für die absolut unvorhersehbare, unvorstellbare Katastrophe.

Absolut vorhersehbar hingegen war, dass besagter Schwan in den diversen Abhandlungen zunächst im Netz (#blackswan) und kurz darauf in der Tagespresse im wahrsten Sinne des Wortes: auftaucht. Philipe Narval gräbt im Standard den Wiederentdecker des schwarzen Schwans, den libanesisch-amerikanischen Philosophen Nassim Nicolas Taleb aus und analysiert unter dem Titel »Coronavirus: Was uns der Schwarze Schwan lehren sollte« das besagte Federvieh und seine Auswirkungen.


Absolut vorhersehbar auch, dass unser berühmtester „Seher“, Matthias Horx, über die »Zeit danach« sich so seine Gedanken macht. Denn: Wir haben es hier mit einem »historischen Moment« zu tun und »nichts wird jemals wieder so sein wie zuvor« ..!


Was zur Zeit passiert ist in der Tat von einer Qualität, die es unwahrscheinlich erscheinen lässt, dass das Spiel morgen dort fortgesetzt wird, wo es gestern abgepfiffen wurde. Undenkbar. Alle Teile der Gesellschaft, das gesamte Gefüge werden zur Zeit derart durcheinander gewirbelt, dass eine Rückkehr zu den Verhältnissen, wie wir sie gestern noch gewohnt waren (und zurecht kritisierten und beklagten) ausschließt. Dazu kommt, dass dieser »Schwan« von einer Schwärze ist, dass selbst die klügsten Köpfe im Land – ob Wissenschafter, Mediziner oder Politiker – die richtigen Antworten nicht kennen (können).


Wir sind urplötzlich nicht nur auf uns selbst zurückgeworfen, wir sind urplötzlich auch damit konfrontiert, unser Leben und Streben, unser Miteinander (oder Gegeneinander) neu zu bewerten, neu auszurichten.


Auch wenn 99,9 Prozent der aktuellen Berichterstattung gegenwärtig nur um ein Thema kreisen, so ist doch der heurige 250. Geburtstag eines Friedrich Hölderlin (Lesetipp: die soeben erschienene Biografie von Prof. Rüdiger Safranski; Anm. d. Verf.) erwähnenswert. Der Grund für diesen Zwischenschnitt ist sein wohl berühmtester Satz: »Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch.«


Das Rettende sieht auch der Zukunftsforscher Horx und fragt: »Könnte es sein, dass das Virus unser Leben in eine Richtung ändert, in die es sich sowieso verändern wollte?« Eine der zentralen Intentionen der Evolution, so darf vermutet werden, ist ja: durch Anpassung der Immunlage, die Individuen (um jeden Preis) am Leben zu erhalten. Das Leben setzt sich durch. Immer und konsequent. Die Frage ist nur: welches Leben?

In der kommenden Welt, sagt Horx, »spielt Vermögen plötzlich nicht mehr die entscheidende Rolle. Wichtiger sind gute Nachbarn und ein blühender Gemüsegarten.«

Unserem alltäglichen Rennen, Hetzen, Hasten wurde plötzlich der Stecker gezogen und wir fühlen, dass es so sowieso nicht mehr weiter gehen konnte. Die Botschaft des »Schwarzen Schwans“ nach Horx: »Die menschliche Zivilisation ist zu dicht, zu schnell, zu überhitzt geworden. Sie raste zu sehr in eine bestimmte Richtung, in der es keine Zukunft gibt.« Aber: man kann, man muss, sie neu erfinden … //(clash)